Adolf Tscherner

Neue Philosophie - Erkenntnistheorie

Inhalt

  1. Nonkonformismus
  2. Dialektik
  3. Die Endlichkeitsbedingung
  4. Axiomatik der Realität
  5. Übereinstimmung von Theorie und Realität

  1. Nonkonformismus
  2. Liest man in Kants Kritik der reinen Vernunft, so kommt dort permanent die Unterscheidung von a priori und a posteriori Erkenntnissen vor. Er macht die beiden Begriffe geradezu zur Ausgangsbasis geregelter Erkenntnisgewinnung. Ich kann leider dieser Aufteilung der Erkenntnisse keinen Geschmack abgewinnen. Denn wenn Kant beispielsweise einmal eine Rechenaufgabe 3 + 4 = 7 als eine von sich aus gültige Aussage ansieht, dann muß ich sagen, daß dies Ergebnis auf einem bestimmten ausgewählten Axiomensystem basiert. Hätte ich statt der natürlichen Zahlen den Restklassenring modulo 5 zugrunde gelegt, hätte ich 3 + 4 = 2 herausbekommen.

    In der Mathematik sind alle Aussagen axiomengestützt, da gibt es keine Ausnahmen. Ob es sich um Arithmetik, Geometrie oder Logik handelt. Stets wird am Beginn einer Untersuchung das Axiomensystem angegeben, welches den untersuchten Objekten oder Elementen der betrachteten Menge und den auf ihr definierten Operationen als Grundlage dienen soll. Die Philosophie täte gut daran, sich diesem Verfahren anzuschließen. In Abschnitt 3 wird dieser Punkt noch gesondert behandelt.

    Vielleicht hatte Kant ja eine ganz andere Unterscheidung von Kategorien der Erkenntnisse im Sinn, als die Urteile a priori und a posteriori kreierte. Das wäre die Unterscheidung von innovativen und system-immanenten Aussagen. Also die Differenzierung in neue und ausgetretene Pfade. Wenn jemand schon neue Wege geht, dann doch fast stets auf kleinen abgegrenzten Feldern.

    Das aber ist nun bei der Schaffung einer Neuen Philosophie nicht ausreichend. Da muß man schon über alles das, was bisher in Philosophie und Naturwissenschaft Thema war, hinausgehen. Das heutige Schachteldenken hilft da nicht weiter, denn eine Schachtel, in der die Vorstellungen gespeichert sind, die mit den bisherigen Lösungen kollidieren, gibt es nicht.

    Deshalb ist Nonkonformismus gegenüber bisheriger Wissenschaft ein Auftrag zur uneingegrenzten Innovation. Daß die Allgemeinheit dies nicht zu ihrem Anliegen macht ist klar. Die Masse braucht klare Befehle und vorgezeichnete Wege. Man kann da schon froh sein, wenn sie eine neue Perspektive überhaupt zur Kenntnis nimmt. Das geschieht letztlich nur dann, wenn es ihr richtig an den Kragen geht. Das aber kann bei der jetzigen Situation der Philosophie nicht ausbleiben. Es lebe das Fiasko!


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  3. Dialektik
  4. Die Dialektik als unverzichtbare Basis aller Erkenntnisgewinnung.

    In meiner Studentenzeit nahm ich einmal an einem Seminar über Heidegger teil, welches den höheren Semestern vorbehalten war, und an dem ich nur nach längerer Diskussion mit dem Seminarleiter Prof. Henrich teilnehmen durfte. Es war also eine erlauchte Runde. Und dort machte Prof. Henrich dann eine Ausführung über die Dialektik, die mir im Gedächtnis geblieben ist, da sie mich tief beeindruckte.

    Es sagte ungefähr folgendes: Wenn man die verschiedenen philosophischen Systeme sichtet, so stellt man fest, daß alle die Konstruktionen, die auf nur einer dialektischen Basis – also nur auf der Existenz der Materie oder nur auf dem Dasein des empfindenden Menschen – errichtet wären, das Gebiet der gesamten Philosophie nicht auszuschöpfen vermöchten. Nur eine Philosophie, die beide dialektischen Positionen nebeneinander für gültig erklärten, wären daher für eine wahre Philosophie geeignet.

    Ich war damals von seinen Worten sehr beeindruckt, da mir ihr Wahrheitsgehalt unmittelbar einleuchtete. Die Begründung liegt ja auch auf der Hand und soll hier kurz angeführt werden.

    Nehmen wir an, der Philosoph wäre eingefleischter Materialist, ginge also einzig aus von der Existenz der Materie. Dann kann er zwar die Wellenlänge des roten Lichts bis auf hundert Stellen nach dem Komma exakt angeben, einem Blinden gegenüber ist damit aber nicht das Geringste ausgesagt. Der weiß nach der Nennung der Wellenlänge noch ebenso wenig vom Farbeindruck wie zuvor.

    Und wenn man meint, auf einen Farbeindruck verzichten zu können, da er ja doch nur Ausdruck eingebildeter Innenschau eines Subjekts sei, so muß ich einwenden, daß es mir einzig um diese Innenschau geht. Diese und nur diese bestimmt mein Handeln, nur sie allein verleiht den empfangenen Signalen aus der Materie Wichtigkeit und Substanz.

    Lese ich ein Instrument ab, so doch nur, weil ich der Anzeige Bedeutung beimesse. Und wird das Ergebnis nicht abgelesen, sondern elektronisch zur Steuerung weiterer Prozesse weitergeleitet – schließlich und endlich steht immer ein Zweck hinter aller Apparatur, der sich in einem Empfindungsgehalt niederschlägt. Ohne diesen wäre jede Maschine so gut oder schlecht wie eine rein mechanische Ansammlung von Materie, also von gänzlicher Nichtigkeit.

    Ist der Philosoph dagegen ein absoluter Idealist, der also vehement die Existenz jeglicher Materie leugnet, dann muß ich ihm sagen, daß er keine haltbare Erklärung für das was geschieht zustande bringen wird. Denn ohne Annahme der Existenz einer Außenwelt sind alle Vorstellungen singulär, lassen sich nicht so miteinander verknüpfen, daß eine Aussage über die Gesetzmäßigkeit des Vorgangs herauskommt.

    Ein Zug fährt die Gleise entlang. Ich sehe ihn. Trotzdem weiß ich nicht, ob er seine Fahrt in der nächsten Sekunde fortsetzen wird. Vielleicht hängt seine Fahrt ja von der Spiegelung in seinen Fenstern ab. Weiß man es? Ein Erklärungssystem materieller Abläufe existiert nicht, wenn Materie nicht existiert. Der Mensch muß also auf alles und jedes vorbereitet sein. Selbst die eigenen Handlungen können den Zweck erfüllen oder auch nicht. Alles wird möglich. Aussagen sind abgeschafft.

    Ich glaube, ich kann die Erörterung abbrechen. Wenn sich selbst Schopenhauer genötigt fühlte, ich glaube am Anfang des dritten Buchs von „Welt als Wille und Vorstellung“ die Existenz wenigstens von anderen Menschen anzuerkennen, dann ist damit wohl alles entschieden.

    Leider ist die dialektische Position selbst bei deren ausdrücklichen Verfechtern nicht in dem Maß zur Wirkung gekommen, wie man es erwartet hätte. Ich denke da nur an Karl Marx, der zwar eine dialektische Umstülpung der Aussagen seines großen Meisters Hegel vornahm, dennoch eine so krasse Bevorzugung des Materialismus installierte, daß von Dialektik in seinem Denkgebäude kaum etwas übrig blieb.


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  5. Die Endlichkeitsbedingung
  6. Blickt man in ein Lehrbuch der Mathematik, so ist die Benutzung des Unendlichen durchaus keine Seltenheit. Sei eine Größe nun unendlich groß oder unendlich klein, die Mathematik scheint ohne die Benutzung des Unendlichen nicht auszukommen. Und das bei einer Wissenschaft, die die Exaktheit geradezu gepachtet zu haben scheint. Da erscheint die Forderung an die Physik, nur endliche Objekte mit endlichen Eigenschaften zuzulassen, beinahe unsinnig.

    Da hilft es nichts. Um hier Klarheit zu erreichen, muß der Gebrauch des Unendlichen in der Mathematik einer genaueren Untersuchung unterzogen werden. Wo fangen wir dabei an? Doch wohl bei der Menge der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, ...

    Nun muß ich der Erörterung voranschicken, daß die Mathematik zwei Arten von Unendlichkeit unterscheidet. Das potentiell Unendliche und das aktual Unendliche. Das potentiell Unendliche ist das, was die Mathematik fast ausschließlich benutzt. Es entsteht durch einen fortlaufenden Herstellungsprozeß, der aber definitionsgemäß nie zu Ende geführt wird.

    Nur das aktual Unendliche betrifft die eigentliche Unendlichkeit. Sie ist in der Weise zu sehen, daß sie als ein fertiges Gebilde keine Erweiterung zuläßt, es sei denn, ich will ein andersartiges Gebilde mit ganz neuen Eigenschaften erzeugen. Solche aktual unendlichen Gebilde bleiben bei Betrachtungen in der Mathematik unberücksichtigt.

    Gauss, der große Mathematiker, hat gesagt, daß das potentiell Unendliche nur eine facon de parler, also eine Redensart, wäre. Er sah die potentiell unendliche Menge als etwas, was durch Weiterzählen über alle gesetzten Grenzen vergrößert werden kann. Doch meinte er, daß das nicht das eigentliche Unendlich wäre. Unendlich wäre ein Objekt, wenn der Zählprozeß zu einem Ende gelangt sei. Das sei aber bei den potentiell unendlichen Mengen nicht der Fall.

    Um hier nun Klarheit zu schaffen, will ich die beiden Arten des Unendlichen daraufhin prüfen, ob sie zu widerspruchsfreien Konstruktionen taugen oder ob sie bei der Benutzung vielleicht sogar einen Widerspruch erzeugen.

    Benutzen wir wieder die Menge der natürlichen Zahlen und nehmen zunächst an, daß der Zählprozeß bereits an seinem Ende angelangt ist. Es handelt sich also um eine aktual unendliche Menge. Aus dieser Menge schaffe ich mir jetzt eine unendliche Reihe mit identischen Summanden e. Diese Reihe hat dann die Form s = e + e + e + ..., wobei e unendlich oft summiert wird.

    Eine solche Reihe schaffe ich gleich noch einmal und subtrahiere die beiden Reihen voneinander. Die Differenz ist dann natürlich d = s – s = 0, wobei man ebenso auch die Einzelglieder subtrahieren könnte d = (e –e) + (e – e) + ... = 0. Soweit ist das Ergebnis völlig erwartungsgemäß.

    Ich wende nun einen Trick an. Ich subtrahiere die beiden identischen Reihen noch einmal, diesmal jedoch nicht die Summanden an der gleichen Stelle, sondern den Summanden der ersten Reihe von dem um eine Stelle nach rechts versetzten Summanden der zweiten Reihe. Also z.B. den 10. Summanden der ersten Reihe von dem 11. Summanden der zweiten Reihe.

    Das kann ich tun, denn bis auf den ersten Summanden der zweiten Reihe ist jedem Summanden umkehrbar eindeutig ein Summand der zweiten Reihe zugeordnet. Und das für die gesamten beiden unendlichen Reihen. Bilde ich jetzt die Differenz d so erhalte ich d = e + (e – e) + (e – e) + ... = e.

    Die beiden Differenzen müßten eigentlich gleich sein, denn ich habe identische Reihen voneinander subtrahiert. Sie sind es nicht! Das ist nach Adam Riese ein saftiger Widerspruch! Aktual unendliche Objekte sind zu einer widerspruchsfreien Aussage untauglich.

    Führen wir nun die gleiche Untersuchung für eine potentiell unendliche Menge natürlicher Zahle durch. Die erste Subtraktion der beiden Reihen ergibt wie bei den aktual unendlichen Reihen wie erwartet Null.

    Nun zu der zweiten Subtraktion. Im Gegensatz zur aktual unendlichen Reihe bricht die potentiell unendliche Reihe irgendwann ab. Natürlich wandert die Stelle des Abbruchs von Augenblick zu Augenblick weiter, doch im Moment der Differenzenbildung kann man von einer festen Stelle mit höchster Laufnummer ausgehen. Berechnet man jetzt die Differenz der beiden Reihen, so ergibt sich

    d = e + (e – e) + (e – e) + ... + (e – e) + (– e) = 0,

    also das gleiche Resultat wie bei der ersten Subtraktion der beiden Reihen. Es ist also kein Widerspruch entstanden. Potentiell unendliche Gebilde können also wie endliche behandelt werden.

    Wenden wir uns nun der Materie zu. Wird hier eine Unendlichkeit von Objekten, Punkten des Raums oder der Größe einer Eigenschaft festgestellt, handelt es sich gewiß um die aktuale Unendlichkeit, den ein langsames Wachsen einer Größe oder Anzahl hin zum Unendlichen kommt nicht in Betracht. Das aber führt zum Widerspruch. Widersprüche in der Realität würden aber bedeuten, etwas ist und ist zugleich nicht. Das ist unmöglich. Aus diesem Grund besteht die Endlichkeitsbedingung für alle Materie zu Recht.


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  7. Axiomatik der Realität
  8. In einem Axiomensystem der Mathematik werden die Verknüpfungen von Elementen einer Menge definiert. Entsprechend werden im Axiomensystem der Physik die Gesetze, die für die Veränderungen der Objekte der Realität gelten, definiert. Während aber in der Mathematik jedes irgendwie konstruierbare Axiomensystem von Interesse ist, interessiert in der Physik eigentlich nur ein einziges, nämlich das, welches definitiv auf die Realität paßt.

    Am Anfang der Erkenntnisprozesses sind sehr viele konkurrierende Axiomensysteme vorhanden, die für die Beschreibung der Realität in Frage kommen. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß gerade das zutreffende Axiomensystem noch unbekannt ist. Der einzige Weg, hier zu einem Ergebnis zu gelangen, ist die Aussonderung unakzeptabler Axiomensysteme.

    Die Herleitung des richtigen Axiomensystems erscheint zunächst als unmöglich, bestenfalls als reines Glücksspiel. Doch so ist es nicht. Werden bei der Suche alle bereits bekannten Fakten berücksichtigt, reduziert sich die Auswahl noch in Frage kommender Axiomensysteme so beträchtlich, daß die Annahme eines bestimmten Axiomensystem nicht mehr so zufällig ist, wie es dem Betrachter erscheinen mag.


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  9. Übereinstimmung von Theorie und Realität
  10. Hinzu kommt, daß ein wirklich ausprobiertes Mittel für die Einschränkung der Axiomensysteme eingesetzt wird, die zur Konkurrenz für das einzig passende Axiomensystem weiter zugelassen sind. Das ist das gezielt eingesetzte Experiment. Oft ist es so, daß sich die Gültigkeit eines von konkurrierenden Axiomensystemen durch die Durchführung eines bestimmten Experiments bestimmen läßt.

    Da ist endlich die experimentelle Bestätigung der Richtigkeit von Aussagen: Die Konfrontation der Theorie mit den Erscheinungen der Wirklichkeit. Bedacht werden muß dabei: der Nachweis der Übereinstimmung von Erkenntnis und Wirklichkeit ist nur notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für wahre Erkenntnis.

    Als Beispiel möchte ich die von Kopernikus und von Ptolemeus durchgeführte Berechnungen der Planetenbahnen nennen. Beide Rechnungen führten zu akzeptablen Ergebnissen, die von Ptolemeus sogar zu besseren als die von Kopernikus. Die Modelle der Berechnung waren allerdings gänzlich verschieden. Erst genauere Rechnungen von Kopernikus Keppler brachten es mitsich, daß das Kopernikalische weltbild angenommen wurde.


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Datum letzter Änderung: 11.02.2008